Bei dem Pressefreiheits-Ranking der „Reporter ohne Grenzen“ ist Deutschland ganz zurecht ein paar Plätze nach unten gerutscht. Allerdings sind die oberflächlichen Kriterien, die die grenzenlosen Reporter zugrunde legen, nur bedingt in der Lage, den tatsächlichen Grad der Pressefreiheit zu messen. In der Studie werden nämlich lediglich explizit (d.h. öffentlich) zu beobachtende Sachverhalte zur Begründung herangezogen:
Deutschland ist vom 18. auf den 23. Platz zurückgefallen, was auf eine ganze Reihe von Vorfällen zurückzuführen ist. Dazu zählen unter anderem das Eingeständnis des Bundesnachrichtendienstes, über zehn Jahre hinweg bis zum Herbst 2005 Journalisten illegal überwacht zu haben. Weiterhin gab es im Fall „Cicero“ Redaktions- und Hausdurchsuchungen und das inzwischen eingestellte Verfahren wegen „Beihilfe zum Geheimnisverrat“ gegen zwei Journalisten, Morddrohungen gegen einen Karikaturisten des „Tagesspiegel“ sowie den zum Teil immer noch erschwerten Zugang zu Daten – trotz Verabschiedung des Informationsfreiheitsgesetzes.
Unbestreitbar handelt es sich hier um bedeutende „Vorfälle“ auf die hehre Pressefreiheit. Was hier jedoch ausgeblendet wird, ist eine weniger öffentlich in Erscheinung tretende, weitgehend ‚unsichtbare‘ Einschränkung der Pressefreiheit durch die strukturelle (und nicht nur ‚vorfallende‘) Einflussnahme von wirtschaftsnahen Lobbygruppen auf die mediale Berichterstattung. Daraus resultierend lässt sich eine seit Jahren stattfindene zunehmende Verschränkung von Wirtschaft und Journalismus beobachten, die sich konkret auf mehreren Ebenen dokumentiert.
Mittlerweile ist es fast schon eine Selbstverständlichkeit geworden, dass Medienakteure ihre Popularität und ihre Fähigkeit zur ‚Aufmerksamkeitsattraktion‘ in den Dienst der Wirtschaftslobbyisten stellen, um sich ein Zubrot in der Privatwirtschaft hinzuzuverdienen und so dieses Engagement mit ihren journalistischen ‚Ämtern‘ vermischen. So ist Reinhold Beckmann – um nur ein Beispiel von vielen zu nennen – einerseits Werbegesicht der Versicherungswirtschaft und kann gleichzeitig über die Vorzüge der Privatversicherung in seiner Talk-Show sinnieren. Deutlicher Beleg für diese personelle Doppelspiel ist auch die Leichtigkeit, mit der Journalisten (ähnlich wie in der Politik) in die „Privatwirtschaft“ wechseln: „Die Karstadt-Krise verschönt uns Jörg Howe, vormals Chefredakteur von Sat.1. Für den Energieversorger EnBW macht Ex-Spiegel-Redakteur Jürgen Hogrefe Informationspolitik, und die von Unternehmerverbänden finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft wird vom Ex-Financial-Times-Redakteur Tasso Enzweiler gemanagt.“ (Quelle)
Im großen Stile zeigt sich die Verschmelzung von Wirtschaft und Medien am Werkeln der Denkfabriken, die gezielt und professionell übergreifende Netzwerke aus Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Medien schaffen. An erster Stelle ist hier natürlich die Bertelsmann-Stiftung zu nennen, die als „Reformwerkstatt“ (eine Selbstbezeichnung) den neoliberalen Umbau der Gesellschaft vorantreibt und in alle gesellschaftlichen Bereiche eingedrungen ist. Wobei natürlich die Medien, die ein weitgehendes Monopol auf die Wirklichkeit der gesellschaftlichen Köpfe haben, in die der Glaube an die Reformnotwendigkeit eingehämmert werden soll, ein besonders beliebtes Werkzeug und Objekt der Begierde sind. Wie erfolgreich diese Netzwerkerei ist und wie innig bisweilen die Umarmung, zeigt sich wohl am eindringlichsten an der auf die Erzeugung von Konsum- und Reformbereitschaft angelegten „Du-bist-Deutschland-Kampagne“, ein Jointventure der großen Medien und Bertelsmann, die sich als „Partner für Innovation“ (eine Formulierung, in der sich die komplette neoliberale Ideologie konzentriert) zusammengeschlossen hatten, um eine „Aufbruchstimmung“ in Deutschland zu schaffen.
Diese vor der Öffentlichkeit weitgehend verborgenen Netzwerke mit all ihren Abhängigkeiten, die sie für Journalisten schaffen, sind eine mindest ebenso bedeutende Einschränkung der Pressefreiheit wie die von den grenzenlosen Reporter genannten Sachverhalte. Sie sind jedenfalls wirkungsmächtiger als diese expliziten Maßnahmen: Sie ermöglichen den Anschein eines ‚objektiven‘ Medienssystems, das vorgibt, im demokratischen Auftrag die Realität der Sozialwelt zu beschreiben, während es de facto das ideologische Weltbild aus den Werkstätten neoliberaler Denkfabriken transportiert und verwirklicht.
Einen Gruß von
Karlstadt
Oktober 29, 2006 at 9:16 pm
Will ja nicht meckern aber es ist Platz 11.!
http://freigeldpraktiker.de/weltenaufgang/blog/article/pressefreiheit-in-deutschland-ein-grund-zum-jubeln/
Oktober 30, 2006 at 1:02 am
Hallo Winfried,
meckern finde ich eigentlich ganz O.K., ich mach ja schließlich fast nix anderes in meinem Blog.
Ich glaube allerdings, dass sich der Link von dir auf das Jahr 2004 bezieht ;-P
Grüße,
Michael
Oktober 30, 2006 at 9:20 pm
Na denn ist alles noch schlimmer als es ist!
Habe da einen Fehler gemacht und nehme den Artikel gleich komplett von meinem Blog!
Danke für die konstruktive Kritik!
Grüße Winfried aus Chemnitz!
November 5, 2006 at 12:28 am
Und dann gibt es da auch noch die Zensur per Fanpost, die in Deutschland effektiver arbeitet als 4000 Zensoren in China.
Und dann wäre da noch der Freundeskreis von BND und Kanzleramt, dessen Mitglieder in leitenden Funktionen in den deutschen Redaktionen arbeiten, und Sonderermitler dazu, die sich einen Bären aufbinden lassen und Märchenbücher schreiben.
Die Steuerung der Medien und die Unterdrückung kritischer Artikel funktionieren n Deutschland vermutlich effizienter als in China. Und das beste daran ist, dass viele Menschen hier glauben, es gäbe so etwas wie Meinungsfreiheit. Die Meinung darf man hier in Deutschland nur äußern, wenn es keiner hört, also zum Beispiel auf’m Klo. Sobald das jemand liest, was man schreibt, läuft die juristische Maschine zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit an, wenn die Meinung störend ist.
November 5, 2006 at 11:00 am
Ich glaube man muss schon unterscheiden zwischen einer expliziten Zensur in China, die sich schon mal in einer Tracht Prügel oder gar mit einem Genickschuß äußern kann, und einer eher weitgehend unsichtbaren Zensur in Deutschland, die grundlegend anders funktioniert.
Natürlich gibt es auch in Deutschland direkte Zensur, wie z. B. deine „Fanpost“ von Herrn Gabriel zeigt. (Ein besonders absurder Fall expliziter Zensurversuche ist für micht immer noch dieser: http://denksprit.devcity.de/?p=6)
Wirkungsvoller ist aber die angesprochene nichtsichtbare Zensur, deren Effektivität darauf beruht, dass sie nicht bzw. nur schwer als Zensur erkennbar ist.
Dazu gehört eben beispielsweise die von dir erwähnte ‚redaktionelle‘ Mitarbeit der Geheimdienste. Dazu gehören aber natürlich auch die in meinem Beitrag anvisierten Denkfabriken wie die Bertelsmann_Stiftung oder die „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“, die gerne auch mal zur Entlastung der finanziell angeschlagenen Redaktionen eigens aufbereitete Beiträge zur Verfügung stellen (Social Marketing). Was dann heutzutage schon mal in riesigen Marketing-Kampagnen wie der im Artikel erwähnten „Du-bist-Deutschland-Kampagne“ mündet, die sich in das selbstlose Kleid einer Mutmacherin gehüllt hat.
Die Liste ließe sich sicherlich ins Unendliche erweitern (bis hin zu den psychologischen Abhängigkeiten einer zu der politischen Elite aufschauenden und dazugehören wollenden Journalistenzunft – Mir kommen da gerade die Bilder von Sabine Christiansen in den Sinn, die zeigen, wie sie backstage schmachtend mit einem Sektglas in der Hand mit der Politprominenz ’schäkert‘).
Die mediale Wirksamkeit dieser unsichtbaren Zensurmechanismen beruht jedenfalls weitgehend auf dem gleichen Prinzip, auf das du auch hingewiesen hast, dem Glauben.
Nach außen hin erzeugt das Medienssystem bei vielen Rezipienten den Glauben an eine demokratische und objektive Berichterstattung, während es effektiv das Interesse einer Elite durchsetzt.
Mit Pierre Bourdieu könnte man sagen, dass es sich dabei um eine Art von symbolischer Machtausübung handelt, indem es der Macht gelingt, sich nicht als Macht erkennen zu lassen
Und das scheint mir auch generell das zentrale Herrschaftsprinzip real existierender ‚Demokratien‘ zu sein:
Formale Freiheit („alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“) bei faktischer Unfreiheit.
Grüße,
Michael